Sachverständige plaudern aus dem Nähkästchen von Jörg Angermann
In einer Ebay-Kleinanzeige war zu lesen: „Tiny House, nur vier Monate alt, umständehalber günstig abzugeben“. Ein Glücksfall? Oder hat der Besitzer statt einer Baugenehmigung eine Räumungsverfügung wegen illegalen Aufstellens bekommen?
In einer Tiny-House-Gruppe auf Facebook wurde gepostet: „Wir verkaufen aus zeitlichen Gründen unser halbfertiges Tiny House“. Schnäppchen? Oder haben die Verkäufer zwischendurch bemerkt, dass sie die Gewichtsgrenze von 3,5 Tonnen nicht einhalten können?
Ein gewerbliches Angebot: „Ausbaumodell an Sparfüchse zum Eigenausbau zu verkaufen.“ Wird der Kunde auch darauf hingewiesen, dass bei baulicher Veränderung der gelieferten Karosserie jegliche Garantie und Gewährleistung entfällt?
Mit welcher Sorgfalt sollte ein Interessent an den Kauf eines Tiny House herangehen? Wäre es ein gebrauchter Pkw, würden viele Käufer Wert auf einen Fachmann legen, der das Fahrzeug vorab einschätzen kann. Dabei ist auch ein Tiny House on Wheels ein Fahrzeug, das ebenso der Straßen- verkehrszulassungsordnung unterliegt. Beim PKW würden nur die wenigsten auf die Idee kommen, sich bei BMW einen Rohbau zu bestellen, um das Auto dann selbst auszubauen. Das Tiny House aber soll sogar als Wohnhaus genutzt werden, womit es zusätzlich auch dem Baurecht unterliegt. Auch beim Erwerb eines Massivhauses würde so mancher Kaufinteressent einen Fachmann zu Rate ziehen, bevor er im Überschwang der Gefühle einfach einen Kaufvertrag unterzeichnet.
Mit zunehmender Etablierung des für deutsche Verhältnisse neuen Haustyps „Tiny House“ werden zwangsläufig auch neue Spezialisten und Gutachter benötigt werden, die Mängel oder Schäden fachkundig beurteilen und einschätzen können. Der Schleswig-Holsteinische Hersteller Rolling Tiny House GmbH will diese Lücke jetzt mit einem „Tiny House Sachverständigen-Service“ schließen. Zugelassene Bau- und Kfz-Sachverständige werden zu diesem Zweck auf die Besonderheiten von Tiny Houses eingewiesen und können betroffenen Käufern und Besitzern fachkompetent zur Seite stehen. In Verbindung mit dem bereits seit 2018 bestehenden Baurechtsservice können bei Bedarf auch Tiny-House-erfahrene Architekten sowie Bau- und Karosseriestatiker herangezogen werden.
Das Haus hat doch Räder
Ein typischer Fall, den Tiny-House-Sachverständige kennen: „Benötigen Sie eine Baustatik oder möchten Sie lieber günstiger kaufen? Es hat ja Räder, sodass Sie es überall abstellen können“, so fragt der findige Verkäufer. Verlockend für den Käufer! Jedoch: ohne Baustatik keine Baugenehmigung. Hat der Interessent nun ein Wohngebäude kaufen wollen oder lediglich einen Holz-Wohnwagen, den er legal allenfalls auf einem Campingplatz aufstellen darf? Treffen Traumvorstellungen auf Verkäufer-Kalkül, oder müssen das im Zweifel die Gerichte entscheiden? Für den Bau-Sachverständigen dürfte die Lage relativ schnell klar sein und der Kfz-Sachverständige wird sich fragen, warum kein dynamischer Festigkeitsnachweis (im Volksmund auch Karosseriestatik) vorhanden ist, weil bei der Straßenverkehrszulassung durch TÜV oder DEKRA fast alles geprüft wird – eben nur nicht, ob der Anhänger auf der Straße auch bei 80 km/h noch hält.
Tiny Houses als Ladung
Auch bekommen Kunden zu hören: „Das Tiny House benötigt keine TÜV-Zulassung, weil es als Ladung gebaut wurde.“ Clever oder eher gefährlich? Das könnte davon abhängen, ob der Hersteller auch darauf hingewiesen hat, dass er für den Transport seiner „Ladung“ keinerlei Haftung übernimmt und im Falle eines Unfalls der Fahrzeugführer für alle Sach- und Personenschäden in die Haftung genommen werden kann. Und selbst, wenn nicht gleich der Extremfall befürchtet werden muss, kann bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle ein Problem auftreten, das kaum jemand bedacht haben dürfte. Eine Ladung muss jederzeit mit Bordmitteln vom Anhänger gelöst werden können. Sollte der Polizei- oder der BAG-Beamte darauf bestehen und der Fahrzeugführer dies nicht bewerkstelligen können, kann der Anhänger wegen fehlender Straßenzulassung an Ort und Stelle stillgelegt werden. Für den Abtransport mit schwerem Gerät und den genehmigungspflichtigen Sondertransport kann dann schnell ein hoher vierstelliger Betrag fällig werden.
Schimmel im Tiny House
Facebook: „Tolles Tiny House zu verkaufen. Im Winter kommt etwas Schwitzwasser auf, aber wenn gut gelüftet wird, ist das kein Problem.“ Bagatelle? Im Gegensatz zu großen Wohnhäusern ist der verfügbare Luftraum und damit auch die Wasseraufnahmefähigkeit der Luft extrem begrenzt. Die produzierte Wassermenge durch die Bewohner selbst, durch Kochen, Duschen und Pflanzen sinkt jedoch nicht entsprechend. Da hilft keine diffusionsoffene Dämmung und auch kein Lüften, was bei modernen Energiesparhäusern ohnehin nicht zulässig ist. Notwendig wird eine Lüftungstechnik, die entweder die feuchtigkeitsgeschwängerte Raumluft gegen Frischluft bei gleichzeitiger Wärmerückgewinnung austauscht oder das Wasser aktiv mittels Luftentfeuchtung aus der Raumluft entzieht. Hat der Hersteller eine solche Technik bedacht?
Ob es sich dabei um einen Konstruktionsfehler handelt, kann relativ leicht erkannt werden. Bildet sich bei ständigem Bewohnen an den Fensterscheiben oder an den Außenwänden regelmäßig Kondenswasser, ist bereits Alarmstufe Gelb angesagt. Dann empfiehlt sich ein regelmäßiger Blick hinter das Sofa und in die versteckten Ecken. Sollten sich da schon Schimmelsporen entwickelt haben, besteht Alarmstufe Rot und es droht die Gefahr, dass das Tiny House bereits kontaminiert und im schlimmsten Falle unbewohnbar geworden ist. Spätestens jetzt wird ein erfahrener Bau-Sachverständiger erforderlich werden, der idealerweise über Erfahrungen mit den Besonderheiten eines Tiny Houses verfügt.
Holzkamin im Tiny House
„Heizen Sie doch ökologisch mit einem Holzkamin.“ Wer träumt nicht von der knisternden Idylle am abendlichen Kamin? Allerdings darf eine Feuerstätte in einem Wohn- haus nur in Verbindung mit dem richtig dimensionierten Rauchrohr und einer Betriebserlaubnis durch den zuständigen Bezirksschornsteinfeger betrieben werden. Die mangelhafte Temperatursteuerbarkeit eines Holzkamins und die Energieverschwendung durch nötiges Lüften bei überhöhten Raumtemperaturen sind dabei noch das kleinste Problem. Viel wichtiger ist, dass ein Holzkamin heute fast nur noch mit einem Feinstaubfilter und einer Außenluftzufuhr betrieben werden darf. Ob dabei ein konstruktionsbedingter Fehler, den der Hersteller zu verantworten hat, vorliegt, sollte wiederum vom Sachverständigen geprüft werden.
Standardfalle „Autarkie“
„Wie finden Sie es, wenn Sie Ihr Tiny House vollständig autark bewohnen können?“ Ökologisch oder simpler Verkaufstrick?
Die autarke Versorgung mit Strom wird in unseren Regionen normalerweise als „Inselbetrieb“ bezeichnet. So etwas kennt man von Not-Skihütten oder von Halligen. Für reguläre Wohnhäuser gilt baurechtlich, dass sie stets an die öffentliche Versorgung mit Strom, Wasser und Abwasser angeschlossen sein müssen. Autark betriebene Häuser ohne öffentliche Anschlüsse sind somit in aller Regel nicht zulässig. Entstehen im Nachhinein hohe Kosten aufgrund fehlender Versorgungsanschlüsse? Muss die Trenntoilette durch eine Spültoilette ersetzt werden, weil die unkontrollierte Entsorgung von Fäkalien verboten ist? Die Frage, wer für die Umbauten die Kosten übernimmt, kann im Zweifel davon abhängen, ob der Käufer konkret ein „autarkes“ Tiny House bestellt hat.
Wird dann ein Sachverständiger benötigt, sollte nicht zuletzt auch die Kostenseite betrachtet werden. Ein normales Gutachten für ein Feuchtigkeits- und Schimmelproblem kostet ca. 500 € und ein Karosseriegutachten ca. 1.000 €.
Dieser Artikel ist auch in der Fachzeitschrift Kleiner Wohnen, Ausgabe 2020/21, erschienen.
Jörg Angermann ist bauvorlageberechtigter Zimmerer aus Bad Segeberg, Schleswig-Holstein, und begleitet Tiny- House-Käufer von der ersten Planung über die Grundstückssuche und Baugenehmigung bis zum erfolgreichen Einzug.
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